Flüssiges Gold oder ethisches Dilemma? Colostrum in der Hautpflege
Wir sind ständig auf der Suche nach dem nächsten „Game Changer“, einem Wirkstoff, der hält, was andere nur versprechen. Jetzt rückt ein Inhaltsstoff in den Fokus, der so alt ist wie das Leben selbst, aber im Badezimmerschrank ganz neu: Colostrum.
Colostrum ist die Erstmilch oder Vormilch, die weibliche Säugetiere in den ersten Tagen nach der Geburt produzieren. Es ist quasi das ultimative Superfood der Natur, ein Konzentrat aus Immunfaktoren, Wachstumsfaktoren und Nährstoffen. Die Logik der Kosmetikindustrie: Was ein Neugeborenes schützt und aufbaut, muss auch die Haut reparieren können. Doch während die Marketing-Abteilungen von „flüssigem Gold“ sprechen, lohnt sich ein zweiter, kritischer Blick.
Ein Kraftpaket an Inhaltsstoffen
Um den Hype zu verstehen, muss man sich ansehen, was in Colostrum enthalten ist. Die Zusammensetzung ist beeindruckend und liest sich wie das Who’s Who der Hautregeneration. Es ist reich an Immunglobulinen (Antikörper), die einen antimikrobiellen Schutzschild bilden. Es enthält Lactoferrin, ein Protein, das für seine entzündungshemmenden und antibakteriellen Eigenschaften bekannt ist, was es interessant für zu Unreinheiten neigende Haut macht.
Am spannendsten für die Anti-Aging-Forschung sind jedoch die enthaltenen Wachstumsfaktoren, insbesondere der Epidermale Wachstumsfaktor (EGF) und der Transformierende Wachstumsfaktor (TGF). Diese Signalmoleküle spielen eine zentrale Rolle bei der Zellreparatur und der Kollagensynthese. Hinzu kommt ein Cocktail aus Vitaminen (A, E, B-Vitamine) und Mineralstoffen. Auf dem Papier ist Colostrum ein 360-Grad-Wirkstoff für Reparatur und Schutz.
Die Versprechen der Industrie
Angesichts dieser Inhaltsstoffe sind die Ansprüche der Marken hoch. Colostrum wird als ultimativer Heilsbringer für gestresste, sensibilisierte und kompromittierte Haut positioniert. Es soll die Hautbarriere in Rekordzeit wieder aufbauen, Rötungen bei Rosazea oder Ekzemen lindern und die Wundheilung nach intensiven Treatments (wie Microneedling oder Laser) beschleunigen.
Durch die Wachstumsfaktoren verspricht man sich zudem einen sichtbaren Anti-Aging-Effekt: eine straffere Haut, gemilderte Fältchen und eine verbesserte Elastizität. Es wird als der natürliche, sanfte Weg zu einer widerstandsfähigen, „ruhigen“ Haut vermarktet.
Die Hautbarriere
Die Haut ist eine Barriere. Ihre Hauptfunktion ist es, Dinge draußen zu halten. Viele der wertvollsten Bestandteile im Colostrum, etwa die Immunglobuline und die meisten Wachstumsfaktoren, sind Proteine mit einem hohen Molekulargewicht. Es ist wissenschaftlich fraglich, ob diese großen Moleküle die oberste Hornschicht überhaupt passieren können, um in der Dermis zu wirken, wo die Kollagenproduktion stattfindet.
Viele Dermatologen argumentieren, dass die Wirkung von topisch aufgetragenem Colostrum sich daher primär auf der Oberfläche abspielt. Es kann hervorragend Feuchtigkeit binden, die Haut beruhigen und als Okklusivum wirken, was die Barrierefunktion von außen unterstützt. Das ist wertvoll, aber es ist nicht die tiefgreifende Zellregeneration, die oft beworben wird. Die unbestrittenen Vorteile von Colostrum beziehen sich oft auf die orale Einnahme, bei der die Wirkstoffe über den Darm aufgenommen werden. Die topische Anwendung ist eine andere Disziplin.
Der Elefant im Raum: Die ethische Dimension
Ein weiterer großer Diskussionspunkt bei Colostrum ist die Herkunft. Das Colostrum, das in der Kosmetik verwendet wird, ist fast ausschließlich bovinen Ursprungs, stammt also von Kühen. Diese Erstmilch ist überlebenswichtig für das neugeborene Kalb. Sie liefert ihm den gesamten Immunschutz für die ersten Lebenswochen.
Die Industrie argumentiert, man verwende ausschließlich „ethisch gewonnenen Überschuss“. Das bedeutet, man nehme nur das Colostrum, das übrig bleibt, nachdem das Kalb vollständig versorgt wurde. Kritiker stellen die Definition von „Überschuss“ in der modernen Milchwirtschaft jedoch stark infrage. Die Realität der Milchproduktion ist selten idyllisch. Für viele Konsumenten ist die Verwendung eines Produkts, das essenziell für ein Tierjunges ist, in einem Luxus-Hautpflegeprodukt eine ethische Grenze, die sie nicht überschreiten möchten. Es gibt keine weltweit einheitliche Zertifizierung für „ethisches Colostrum“, was die Transparenz für Verbraucher erschwert.
Alternativen zu Colostrum
Ist Colostrum in der Hautpflege also ein Tabu? Nicht zwangsläufig, aber es erfordert eine bewusste Entscheidung. Für Menschen mit extrem kompromittierter Haut, etwa nach medizinischen Eingriffen oder bei schweren Barriere-Schäden, können die oberflächlich beruhigenden und schützenden Eigenschaften vorteilhaft sein.
Wer jedoch die ethischen Bedenken teilt oder die wissenschaftlichen Zweifel an der Penetration ernst nimmt, findet hervorragende Alternativen.
- Wachstumsfaktoren: Wer gezielt die Wirkung von EGF sucht, kann auf Produkte mit biotechnologisch hergestellten, veganen Wachstumsfaktoren zurückgreifen (oft aus Gerste gewonnen). Diese sind oft so formuliert (z.B. verkapselt), dass sie die Hautbarriere besser überwinden können.
- Barriere-Reparatur: Ceramide, Peptide und Centella Asiatica sind klinisch hervorragend erforschte Inhaltsstoffe zur Stärkung der Hautbarriere, die ohne ethische Komplikationen auskommen.
- Beruhigung: Hafer (Oat), Panthenol und Süßholzwurzelextrakt sind potente und bewährte Inhaltsstoffe zur Linderung von Rötungen und Irritationen.
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